Die Geschichte des Vereins

Alles begann – schon verhältnismäßig früh – Anfang 2012, als Dr. Hermann Steiger, Mitglied des Vereins Agenda 21, über die Presse auf die Tatsache aufmerksam gemacht wurde, dass die Flüchtlinge in menschenunwürdigen, maroden Containern untergebracht wurden. Ehrenamtliche Tätigkeiten wurden im Verein »Agenda 21« koordiniert und bei Gesprächen wurde schnell klar, dass auch die Flüchtlinge ein Thema waren, mit dem man sich befassen wollte. Man wollte denen helfen, die alles verloren hatten.

Der Anfang war steinig. Die Stadtverwaltung lehnte zunächst jegliches freiwillige Engagement ab und war auf dem Standpunkt, dass man das alleine leisten konnte und dass alles gut läuft. Freiwillige Helfer/innen wurden als nicht notwendig angesehen.

Im Januar 2012 hat »Agenda 21 e.V.« dann eine Veranstaltung zum Thema organisiert, zu der auch die Stadtspitze sowie Mitarbeiter/innen der Verwaltung eingeladen waren. Ein Mitglied des Vereins hielt eine Rede, in der er die Unterbringung der Flüchtlinge als unangemessen einstufte und forderte, dass sich hier etwas ändern muss. Das Ergebnis: Die Stadt wollte zwar nach wie vor keine freiwilligen Helfer/innen bei den Flüchtlingen, Besuche des Vereins Agenda 21 waren aber »erlaubt, wenn auch nicht erwünscht«. Im Nachgang dieser Veranstaltung gründete sich unter dem Dach des Vereins »Agenda 21« die »Arbeitsgemeinschaft Flüchtlingshilfe«. Die katholische Kirche stellte Räumlichkeiten zur Verfügung – die Arbeit konnte beginnen.

Bis zu zehn Bürger/innen engagierten sich im Arbeitskreis, dessen Fokus auch aus Geldmangel zunächst auf dem Sprachunterricht lag, der direkt in den Unterkünften geleistet wurde. Die erste Spende für den Arbeitskreis kam von den Grünen und ermöglichte der Arbeitsgemeinschaft, den Flüchtlingen notwendige Lehrbücher zu finanzieren. In der Nachbarstadt Bergkamen gab es zu dem Zeitpunkt spezielle Sprachkurse über die örtliche VHS. Die Flüchtlinge mussten die Kursgebühren selber bezahlen und die Arbeitsgemeinschaft konnte dank der Spende die Anschaffung dieser Lehrbücher übernehmen.

2012 war es noch so, dass die Flüchtlinge gemeinnützige Arbeit zu leisten hatten, was zu großen Problemen führte. Die Arbeitszeiten für diese gemeinnützigen Arbeiten kollidierten mit den Kurszeiten für die Deutschkurse. Die Flüchtlinge steckten in der Zwickmühle: Sie hatten für die Deutschkurse bezahlt, doch wenn sie die Kurstermine wahrnahmen, konnten sie in der Zeit nicht gemeinnützig arbeiten, was mit Leistungsabzügen bestraft wurde. Das führte zu nicht unerheblichen Frustrationen seitens der Flüchtlinge und die Arbeitsgemeinschaft konnte hier vermittelnd tätig werden. Auf das Problem angesprochen, hat die Verwaltung auch umgehend reagiert und die Flüchtlinge für die Deutschkurse von den gemeinnützigen Arbeiten freigestellt.

Die Arbeitsgemeinschaft wurde stetig größer und die kirchlichen Räume wurden schnell zu klein für die vielen Helfer/innen, die ein wenig dazu beitragen wollten, die Leute zu integrieren anstatt nur zu protestieren. Es war der Beginn einer großartigen »Dafür-Kultur«, nicht mehr nur der »Dagegen-Kultur«. Man protestierte nicht - man half.

Im Verlauf des Jahres 2014/15 fanden sich auch immer mehr Menschen, die helfen wollten. Die Stadt Bergkamen hatte – anders als die Städte im Umkreis – eine Ehrenamtsinitiative gestartet und gezielt Menschen gesucht, die helfen konnten, die Flüchtlinge zu integrieren. Dafür wurde extra eine Stelle geschaffen, die die freiwilligen Helfer/innen in die Unterkünfte begleitet hat, sie dort vorstellte und die Arbeit unterstützte und organisierte. Etwas Vergleichbares gab es für Werne zu dem Zeitpunkt noch nicht. Bei einem Gespräch mit der Stadtführung wurde auch klar gesagt, dass eine derartige Zusammenarbeit für Werne nicht in Frage kommen würde. Sprachkurse wären in Ordnung, alles, was darüber hinaus geht, wäre Sache der Stadtverwaltung.

Doch die Zusammenarbeit verbesserte sich sukzessive, langsam flossen die notwendigen Informationen, die die Arbeitsgemeinschaft auch benötigte, um überhaupt funktionieren zu können. Gleichzeitig bildeten sich innerhalb der Arbeitsgemeinschaft verschiedene Arbeitskreise heraus. Die Deutschkurse, mit denen alles begann, sind inzwischen diejenigen, die am besten organisiert sind. Es sind von den Kursleiter/innen entsprechende Materialien gefunden worden und die Lehrer/innen sind untereinander sehr gut vernetzt.

Der Weg von einer Arbeitsgemeinschaft zu einem eigenständigen Verein ist lang. Aber es kristallisierte sich Ende 2015 schnell heraus, dass die Anforderungen weiter wuchsen und die Arbeit unter dem Dach eines anderen Vereins nicht mehr vernünftig leistbar waren. Im Januar 2016 fand deshalb die offizielle Gründungsversammlung statt. Seither ist die Flüchtlingshilfe in Werne ein Verein, die Anerkennung der Gemeinnützigkeit ist beantragt.

Die Stadtverwaltung hat ihr Versprechen gehalten, der Flüchtlingshilfe in der Innenstadt Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Zwei Räume, ein Büro und ein Raum für Besprechungen und lockere Zusammenkünfte, sowie das Wichtigste: Die Küche für die Teezubereitung.

Diese Räume entwickeln sich mit atemberaubender Geschwindigkeit zu einem Treffpunkt für Flüchtlinge und Bürger/innen. Neutraler »Boden«, auf dem man sich kennenlernen kann. Hilfestellungen bei Verträgen und bei Behördengängen werden geleistet.

Gleichzeitig sollen in dem Gebäude künftig auch Sozialarbeiter/innen arbeiten und eine Sstelle eingerichtet werden, die die Arbeit des Vereins und der Stadtverwaltung koordinieren soll. Letztlich setzt sich bei allen Beteiligten die Erkenntnis durch: Es geht nicht ohne den anderen. Bürger/innen und Stadtverwaltung funktionieren am besten Hand in Hand und nicht gegeneinander.

Allerdings gibt es noch viele Probleme, die nicht so einfach zu lösen sind. Vorrangig gibt es ein Unterkunftsproblem. Derzeit sind die gut 500 Flüchtlinge in 28 Unterkünften untergebracht, weitere Unterkünfte werden hergerichtet, da für 2016 weitere Flüchtlinge erwartet werden und Zeltunterkünfte nicht zur Debatte stehen. Kulturelle Unterschiede machen, je nach Persönlichkeitsstruktur, die Zusammenarbeit auch zuweilen problematisch.

Und natürlich gibt es auch in Werne diejenigen, die lieber auf die hören, die Flüchtlinge hinausdrängen wollen, als auf die Stimme der Menschlichkeit und Vernunft. Dass diese Stimmen leise sind, ist nicht zuletzt dem hohen persönlichen Einsatz jedes einzelnen der 130 Mitglieder der Flüchtlingshilfe zu verdanken und den vielen Unbekannten, die »einfach so« helfen, ohne dass sie einen Rahmen dafür wollen oder benötigen. Sie stellen die Brücke zur Verständigung dar. Ohne die lebendige Vereinskultur, die sich bereits jetzt etabliert hat, wäre die Integrationsarbeit in Werne nicht in dieser Form leistbar.

Kerstin Ludwig